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2011

"Tropfen des Glücks"

Jürgen Weichardt

Gennady Karabinskiy hat der Ausstellung den nahezu philosophischen Titel "Tropfen des Glücks" gegeben. Er zeigt damit an, dass seine Bilder nicht als einfache Darstellungen irgendeiner Realität zu sehen sind, sondern etwas vermitteln wollen. Zum Beispiel Bilder vom "Glück": Obwohl uns allen dieses Gefühl, Glück zu haben, glücklich zu sein ,Glück zu empfinden, nicht unbekannt ist, verstehen wir doch alle etwas anderes darunter, ganz nach unserer Erziehung, unserer Erfahrung oder dem Einfluss der Regenbogenpresse, die genau weiß, was das ist - "Glück".
Gennady Karabinskiy gibt nicht vor, zu wissen, was Glück ist, und er will auch nicht suggerieren, Glück sei z.B. Besitz, sei etwas Außergewöhnliches, Sensationelles. Es sind die ganz kleinen, aber feinen Dinge, die er in seinen Bildern als "Tropfen des Glücks" andeutet, eine Blume, eine Frucht, ein Tier, eine Zweisamkeit, ein Augenblick, etwas Vorübergehendes, von dem weniger die Ursache als das Empfinden in Erinnerung geblieben ist. Außenstehende können das nur schwer nachfühlen; denn Glück ist - außer beim Fußballtor - kein kollektives, sondern ein ganz privates Empfinden.
Gennady Karabinskiys Bilder sind anziehend, und das liegt an ihren Farben. Der Künstler hat eine bewundernswerte Fähigkeit, Farben miteinander zu verbinden, sie ineinander laufen zu lassen, aber auch gegeneinander zu stellen, Kontraste zu entwickeln. Dabei geht er meistens von den drei Grundfarben aus - rot, gelb und blau -, kommt aber schnell zu Mischungen, deren Farbstärke nicht geringer sind als die Grundfarben - das Violett, das Orange, und natürlich das heute so beliebte Grün. Sie sehen auch Flächen, bei denen der Maler mehrere Farben gleichsam durcheinander gemischt hat, Flächen, deren Grundton wir also nicht bestimmen können. Jedoch - das Wesentliche beim Gebrauch von Farben in diesen Bildern ist weniger ihr Farbklang als ihre Ausstrahlung, ihre Wirkung - sie wecken Stimmungen, sprechen Gefühle an, sie unterstreichen dabei nicht in  erster Linie die Gegenständlichkeit in den Motiven, denn häufig bedecken mehrere Töne einen einzelnen Gegenstand, sondern reizen Empfindungen, die der Betrachter haben könnte, haben wird. Die Farben versetzen den Betrachter in eine stille Spannung, einerseits sind diese Farben heiter, und selbst wenn dunkle Töne gewählt wurden, ergeben sich entgegenkommende Gefühle, andererseits sind sie melancholisch. Nirgendwo wirken die Farben flächig, immer sind sie wie ein Schwamm, der nicht zu erkennen gibt, wie tief eigentlich die Farben eingedrungen sind. Von den Farben her gesehen haben wir es hier mit sehr tiefen Bildern zu tun.
Die Bilder erinnern melancholisch an Zeiten, als alles, d.h. das ganze Leben und alle Dinge, die der Mensch zum Leben braucht, noch überschaubar waren. Es wäre allerdings falsch, dies mit dem Begriff "von der guten alten Zeit" oder mit Nostalgie abzutun; denn es gibt eine ganze Reihe von Motiven in den Bildern von Gennady Karabinskiy, die frei von einer Zeitzuordnung sind, die auch heute so gesehen werden können, wenn wir sie in unsere reale Umgebung übertragen - das Blumenstillleben, die Früchte auf dem Tisch, der Mensch und das Tier.
Aber Gennady Karabinskiy löst sich von der Realität, indem er Dinge auf ungewöhnliche Weise miteinander verbindet, Köpfe mit Vögeln, Personen mit Pflanzen. Der Künstler gibt zugleich diesen Köpfen und Gesichtern einen starken Ausdruck - tiefes Empfinden, große Wünsche, vielleicht Heimweh, vielleicht auch nur alltägliche Not oder Freude - Mit den Dingen und Tieren auf dem Kopf deutet der Künstler Interpretationen an - wofür steht der Vogel, der sich auf dem Hut oder sogar auf dem unbedeckten Haupt niedergelassen hat, wofür stehen die Früchte auf den Tischen in den Stillleben, teils geschlossen, oft aufgeschnitten, geteilt ?
Der Künstler regt Deutungen aus der jüdischen Weisheit an, aus der Überlieferung - seine Gestalten und Dinge mögen sich zeitnah zeigen, widersprechen aber nicht der ihnen eigenen Vergangenheit und Tradition, in der sie wie auch der Künstler selbst stehen. Sie sind überlieferte Zeichen für Leben, für Freiheit, für Glück - eben Tropfen, für Wünsche - niemand kann die symbolhaften Einzelheiten besser auslegen als der Maler selbst.
Indem er die Größenordnung, die wir zu sehen gewohnt sind , aufhebt, versetzt er die Menschen, Tiere und Früchte in seinen Bildern in eine andere Welt; kunsthistorisch wurde dafür das Wort Surrealismus gefunden, aber ich würde hier lieber einen anderen Begriff verwenden - Magischer Realismus - das Wort wird auf viele Werke Radziwills bezogen, geht aber darüber hinaus und findet auch in diesem Oeuvre von Gennady Karabinskiy eine Entsprechung:  - Der Wirklichkeit nahe sind die Bilder insofern, als keine unwirklichen Handlungen gezeigt werden; magisch sind sie, weil der Künstler jeder Figur einen intensiven, weit über das normale Maß hinausgehenden Ausdruck verleiht; magisch sind auch die Farben, die den Blick anziehen und das Gemüt gefangen nehmen, magisch ist die Anziehungskraft dieser Bilder, selbst der kleinen Formen.

Gennady Karabinskiy schafft aus sich heraus die Inhalte und symbolischen Überhöhungen, die die Bilder anziehend machen. Von der Innenwelt des Künstlers springt der Funke leicht über zu der des gemalten Menschen, gespiegelt in dessen Gesichtsausdruck, in dessen Augen und Gesten. Von hier leitet Gennady Karabinskiy über zu einer ganz subjektiv gefassten und empfundenen Außenwelt. Der Künstler stellt die Menschen in eine keineswegs unvertraute, aber nicht gerade modern wirkende Umgebung, in eine stille Szenerie - Kein Pathos, sondern leise Töne mit bescheidenen, im Grunde demütigen Menschen. Menschen, das sind hier meist nur ihre Köpfe, ihre Gesichter, zuweilen stark angeschnitten, so wie die Erinnerung nur Details zulässt, gleich, ob sie aus ferner Vergangenheit oder aus den jüngsten Tagen etwas vor Augen zaubert. Menschen mit verzagten Gesten. Diese allein, so selten sie sind, drücken aus, was der Mensch - in der Erinnerung wie auch heute - angesichts der Welt fühlt - Ratlosigkeit, gegen die nur die unmittelbare Beschäftigung mit dem Alltag hilft - mit den Blumen, mit den Früchten, mit den Dingen, die in Stillleben zusammengestellt werden. Allerdings, wir können auch einen leichten Zug von Karikatur in den Gesichtern und Gestalten erkennen, eine Prise Humor, der Distanz und Gelassenheit schafft zu den emotionalen Figurationen der Erinnerung und der Gegenwart. Distanz schon, aber die Farben heben sie wieder auf.
Es ist das Besondere der Bilder von Gennady Karabinskiy, dass nichts ohne Bedacht geschieht und doch alles empfunden ist. Die Bilder, die in einem kleinen Atelier in Oldenburg entstehen, sind nicht nur als Erinnerungen zu sehen, sondern durchaus auch als Stellungnahmen zum gegenwärtigen Leben.
Zu ihnen gehört allerdings das Erinnern. Der Maler von heute, der sich der Gegenwart oft schmerzlich bewusst ist, als Künstler, als Emigrant, erinnert sich der Bilderwelt, die einmal vor seinen Augen entlang gezogen war..

Jürgen Weichardt

28.01.2011