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2008

Gennady Karabinskiy

Jürgen Weichardt

Die Menschen in den Bildern und Zeichnungen von Gennady Karabinskiy sind einfache Menschen, Kinder, Jugendliche. Aber das Wort "einfach" darf uns nicht zu Vor- und Fehlurteilen führen, denn  nicht nur dass sich diese Menschen verhalten wie alle anderen, ihr Habitus, ihr Eigentum zeigen uns, dass sie musisch vielseitig interessiert sind, mehr als jene, deren Weltersatz das Fernsehen ist.
Wenn wir also der nicht unproblematischen Annahme folgen, dass der aus Weiß- Russland stammende, zuletzt jedoch aus St. Petersburg kommende Maler Menschenbilder seiner Heimat, also der Erinnerung in seinen Gemälden und Zeichnungen zeigt, ich vermeide das Wort Heimweh, um diese sentimentale Komponente beim Betrachten der Bilder auszuschließen, dann deutet er damit zugleich an, dass Einfachheit des Lebens künstlerische Interessen und musische Begabungen nicht verhindert. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass Karabinskiy keine skurrilen Typen, keine kuriosen Gestalten irgendeiner Region am Rande Europas gemalt hat, - die Darstellung darf nicht mit den Menschen selbst verwechselt werden -, sondern normale Menschen in nachfühlbaren, wenn auch grotesken Situationen, mit Empfindungen, die der Betrachter auch nachvollziehen kann, geschehen sich selbst in solche Situationen.
Zum Beleg: Die Geigerin hier ist nicht die einzige, die als Musikerin ins Bild gekommen ist; dort hinten trägt ein Junge einen Geigenkasten, und oben gibt es mehrere Bilder mit Kindern und Erwachsenen, die trompetenähnliche Instrumente halten oder bespielen - ob zur Freude ihrer Nachbarn, bleibt offen.
Wir können sicher sein, dass sich im Atelier des Künstlers noch zahlreiche Bilder mit Motiven von Musikerinnen und Musikern mit ihren Instrumenten finden lassen: Wir haben hier einen Maler, der Musik thematisiert - das führt uns zu einem anderen russischen Künstler, der wie kein zweiter von der musikalischen Seite her die Malerei thematisiert hat: Modest Mussorskij und seine "Bilder einer Ausstellung". Die gegenläufige Parallele kann sogar noch weiter geführt werden, denn beide - Mussorskij und Karabinskiy - neigen in ihren Arbeiten zu grotesken Verzerrungen der Personen, die in ihr Blickfeld geraten sind. Diese Verzerrungen müssen genauer untersucht werden: Diese ist nicht unfreundlich und geprägt von Spannungsformen der Musik oder Malerei und Zeichnung. Diese Beobachtung führt uns zurück zum ausgestellten Werk. Drei Gruppen sind zu unterscheiden: Ölbilder, Pastelle und Ölkreiden, die ganz in Schwarz/ Weiß gehalten sind.
Bei den Ölbildern lassen sich schon in diesem Raum unterschiedliche Methoden des Malens festhalten: Zum Beispiel bei der Farbgebung:
Für das Mädchen, das die Violine von sich streckt, setzt Gennady Karabinskiy Farben entsprechend den Gegenständen und Körpern ein; jedes Element bekommt seine eigene Farbe, die nicht der Wirklichkeit entsprechen muß; vielmehr verwandelt sie die Realität in eine phantasievolle Situation. Vielleicht können wir sogar sagen, hier wird die Stimmung, die entweder das Musikstück oder das Spiel der Musikerin ausgelöst hat, in Farben übertragen. Über die Stimmung  etwas zu sagen, hieße freilich, den Betrachter bevormunden zu wollen - jeder sollte selbst empfinden, was der Künstler dem Violinenstar ins Gemüt gemalt hat.
Eine veränderte Methode des Malens sehen Sie bei dem Bild der Einladung: Noch wird die Jacke des Mädchens, dem das Kopftuch ein wenig über das rechte Auge gerutscht ist, nur in einer Farbe, in grünen Tönen gemalt, aber diese werden doch differenziert: ein Teil ist dunkel, ein Teil ist hell und gleitet hinüber ins Blau. Auch das Kopftuch hat mit dem hellen Blau nur eine Farbe, die sich bis zum Weiß auflöst.
Erst bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sich das Mädchen in einer Menschengruppe befindet und dass sich ihre Gemütslage vermutlich von der Anwesenheit der anderen bestimmen läßt - oder der Künstler hat eine Erzählung begonnen und beendet sie nicht, überläßt sie dem Betrachter, um der Darstellung Spannung zu geben. Wir wissen freilich nicht, ob sich der Autor des Bildes nicht doch eine abgeschlossene Geschichte ausgedacht hatte - aber er läßt sie für unsere eigenen Deutungen offen. Im übrigen sehen Sie über dem Kopf des Mädchens ein oder zwei Musikinstrumente, die als Accessoirs der Szenerie verstanden werden können. Ein Musikfest also mit vielen Zuhörern, von denen der eine oder andere auf das Mädchen schaut, was dessen Blick wiederum ganz anders deuten läßt.
In den Bildern von Gennady Karabinskiy entstehen Korrespondenzen, unerklärbare, dabei doch ganz alltägliche Beziehungen zwischen den Figuren, und auch diese Beziehungen sind aus dem Leben gegriffen, wenn auch in ihrer Form weniger aus der westlichen als aus der östlichen Welt - die Empfindungen der Menschen aber sind die gleichen.
Wir sind noch beim Farbaufbau der Bilder:
Noch einen Schritt weiter geht der Künstler bei dem Bild mit dem Jungen, "Knabe", bei dem Farben nun nicht mehr den ganzen Gegenstand bedecken, sondern ineinander verschmelzen. Sie gehen überall in andere über. Dass sie überhaupt als eine bestimmte Farbe wahrgenommen werden können, liegt an der Mischung: Nicht selten wird die Farbe getupft, dann verlieren sich alle festen Ränder und schon ist diese Farbe offen für die Nachbarfarbe, die aber selbst von einer dritten Farbe attackiert wird. Solch eine Farbgebung läßt sich nicht logisch oder realistisch erklären; sie entsteht beim Malen wie von selbst in einem längeren Prozess und mit der Erfahrung aus früheren Arbeitsvorgängen. Den Farben mehr Raum zu geben, heißt, den Schwerpunkt vom Bildinhalt allmählich auf die Farbigkeit und damit auf Komposition und Form des Bildes zu verlagern. Die Spannung der Farbveränderungen, die Ausgewogenheit der Farben, die Entschiedenheit, mit der entweder Kontraste oder Harmonien auf diese Weise entwickelt werden, ergibt am Ende die Qualität der Malerei.
Gennady Karabinskiy ist Maler, nicht Reporter. Er belegt seine Stärke, wenn in seinen Ölbildern die Farbschichten und Farbstufen allmählich den Inhalt so intensiv überlagern, dass der Betrachter zunächst keinen Inhalt sieht- abgesehen von den ganz großen Formen und Figuren-, dann aber langsam Gegenstand für Gegenstand aus den Farbschichten herausschält und dabei feststellt, dass die Farben alle Formen im Bild miteinander verbinden. Es ist nicht unmöglich, dass manche Betrachter die starke Farbkomposition für wichtiger halten als den Inhalt; aber tatsächlich läßt sich das eine nicht vom anderen trennen. Dort, wo der Inhalt wirklich zweitrangig geworden ist, auch wenn gegenständliche Formen nicht aufgegeben wurden - in den Stillleben -, fällt es am Ende auch den Experten schwer,  jedes einzelne Farbdetail als Gegenstand zu erklären.

 

Die Pastelle, die als eine Gruppe im oberen Flur hängen, unterscheiden sich - bezogen auf Dinge und Personen - nur wenig von den Ölbildern. Darum tritt die Technik des Malens mit einem Stift in den Vordergrund: Auf dem strukturierten Papier findet dieser unterschiedlichen Widerstand, sodass die Flächen - ob groß oder klein - ungleichmäßig von Farben besetzt werden. Das ergibt diesen weißen Schimmer,  der die Farbschichten transparent macht. Die Farbschichten wiederum entstehen nicht wie bei den Ölbildern, durch die Feuchtigkeit der Farben, sondern durch das zeichnerische Ineinanderreiben, was letztlich nicht zu einer totalen Auflösung der einzelnen Farbe führt, sondern ihre Substanz neben die der anderen setzt.
Für den Aufbau der Bilder hat das weniger Bedeutung: Stellen wir uns die Frage, worin das Humorvolle und Eigenartige der Motive dieser Bilder zu sehen ist, dann hauptsächlich in drei Punkten: Einerseits entdecken wir eine Zuspitzung, die durchaus dramatisch verstanden werden kann, wenn wir auf die Stellung der Beine zum Körper und zur Situation und auf die Positionierung vieler anderer Gegenstände achten, manches verweist auf einen witzigen Grundzug oder hat eine symbolische Bedeutung, wenn etwa am obereen Bildrand eine Häuserzeile auf dem Kopf steht.. Zum anderen folgt der Künstler bestimmten Wahrnehmungsvorgängen, wie etwa dem einer Betrachtung in einem Hohlspiegel, wodurch der Gegenstand selbst groß vor das Auge gezogen wird, die anderen Körperteile entsprechend der Intensität der Fokusierung abgerückt und verkleinert werden bis hin zu weit entfernt scheinenden Stühlen oder Tieren, bis zu perspektivischen Raum- Darstellungen, die überspitzt erscheinen. Ein dritter Punkt ist die Größen- Relationen, ob sie nun der Perspektive oder einer symbolischen Absicht unterworfen sind. In jedem Falle ist ihre Wirkung nicht nur bedeutungsvoll, sondern oft auch komisch.

Ich denke, eine solche Darstellung ist eine Betrachtungsweise, die heute dem Individuum entspricht, das alles auf sich selbst bezieht und darum manches deutlich an sich zieht, und vieles zurückweist.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen nicht alles verraten, was in den Bildern von Gennady Karabinskij steckt: Gehen Sie auf Entdeckungsreise und lassen Sie sich überraschen. Erlauben Sie sich zu staunen.