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2017

Katalog: Karabinskiy auf Leinwand und Karton.

Einführung von Fabian Schmitz.

Ein Humanismus der Farben

In unserem alltäglichen und funktionstüchtigen Business-Schwarz-Weiß und aussagelosem Nadelstreifengrau sind sie zu einer vielfältig visuellen Herausforderung geworden, die Farben des Künstlers Gennady Karabinskiy. Sie dringen auf die Betrachtenden ein, wie sie in den Bildern selbst danach drängen zu gestalten, zu erzählen, einen eigenen zutiefst humanen Kosmos zu entwerfen. In der Tradition der vom Postimpressionismus entwickelten Verfahren hat Gennady Karabinskiy einen ganz eigenen postexpressionistischen Ausdruck entwickelt, der aus der Poesie der Symbole einen magischen Realismus schöpft. Erinnern die Farben an Paul Gaugin oder auch Chaim Soutine, so drückt sich in ihnen die unbändige Lebensfülle der portraitierten Menschen aus. Mal melancholisch träumend, mal unsicher fragend blicken sie aber ebenso selbstsicher und keck die Betrachtenden an und laden ein, ihnen in ihre Welt zu folgen, ihren Gesprächen und Gedanken zu lauschen, sich auch von ihren vielfarbigen Emotionen verführen zu lassen. So sind es nicht die Räume, die mal aus den Farbkontrasten evoziert, dann wieder in der Fläche der Farben dekonstruiert werden, die uns Aufschluss über die dargestellten Leben geben. Es sind die Menschen selbst, die in diesem einen Moment der Portraits und Szenen sich uns als Betrachtenden preisgeben.

Ihre Körperlichkeit ist ihr Zugang zur Welt und persönlicher Ausdrucksraum zugleich. Wie etwa in Abend. Warm die an der sonnenwarmen Hauswand lehnende Frau, die die Wärme der Abendsonne auf ihrer Haut genießt und schwärmerisch träumend in die Landschaft blickt und ihr orangerotes Kleid die Formen ihres sehnsüchtigen Verlangens abzeichnet. Dabei kommt es nicht auf die realistische Proportionalität der Glieder an. Die großen roten Hände des Klavierspielers in Bekannte Töne visualisieren sein energetisches Handeln in actu, die körperliche wie emotionale Genese seiner Tonkunst. Entsprechend enthält die Ölmalerei Gennady Karabinskiys Spuren vom physischen Prozess ihres Entstehens: Der pastöse Farbauftrag mit Spachtel zeugt vom Körper des Künstlers und schafft eine dreidimensional körperliche Farbigkeit die einer herkömmlichen Perspektive und Proportionalität nicht bedarf. Es sind die aufeinander geschichteten Farben, die ihre Geschichte des Menschen erzählen. Da ist die sexuelle Sinnlichkeit zwischen den Körpern nur ein allzu natürliches Motiv. Forsch und voller Erwartung blicken die Frauen in lasziver Pose die Betrachtenden herausfordernd an, werden aber eben nicht zu deren Objekten. Ob rote Strümpfe an Haltern etwas Bein zur bübischen Hose mit Hosenträgern in Ein Mädchen freigeben oder in Erwartung die Brustwarze sich gelb vor schwarz-mauve-taupem Hintergrund spitz erhebt, immer ist es der Blick einer selbstbestimmten Erotik und Sexualität, der uns einladend entgegengeworfen wird. Die ästhetisch sinnliche Anziehungskraft findet sich symbolisch nicht nur in den kreisrunden Brüsten der Frauen, sondern auch in den samenreichen Früchten der Beeren und Granatäpfel, den Falten der Pflaumen und Spitzen der Eicheln wieder. Spielen die beiden genannten Bilder mit der zwischenkörperlichen Anziehung von Betrachtenden und Bild, so inszeniert Schabbatstreffen die körperliche und emotionale Komplexität des Strebens zweier Körper zueinander: Sinkt sie in ihrem Blütenschleier das Heim in der Hand bietend herab, reckt er sich empor den Beerenzweig im Mund, bereit die roten Lippen des Fisches zu küssen. Sind sie sich nicht zugewandt, blicken sie einander nicht an und berühren sie sich nicht, so ist ihre Begegnung die zweier Individuen, die dennoch für einander entflammt sind, wie es sich im gemeinsam runden Schein der sich zueinander neigenden Flammen der Kerzen zeigt. Der sich hier andeutende ewige Kreislauf des natürlichen Werdens und Vergehens wird gerade in den Blumenstillleben deutlich: In Familienportrait wuchert das blühende Leben nur so über die Bildgrenzen hinaus, indes das Veilchen in Stillleben mit Blume gegen das große vergehende Blatt anblüht.

Diese existenzielle Dimension und philosophischen Fragen des menschlichen Daseins finden sich in allen Werken Gennady Karabinskiys wieder. Seien es die Tuschezeichnungen, die in der schnellen Federführung einen Blick, einen Traum pointieren, oder auch die kleinen Ölmalereien auf Karton, die in einem Motiv zutiefst humane Ausdrücke und Gefühle kondensieren. Die Kindheit und das Kind-Sein sind dafür ein zentrales Motiv wie in Schau mal!. Mit seinem löchrigen Sieb auf dem Kopf blickt uns dieser Junge mit seinem Beerenzweig verträumt an und fordert uns auf, die kleinen poetischen Verrücktheiten im erwachsenen Alltag wieder zuzulassen. Diese Grenze zwischen dem Erwachsen- und Kind-Sein hinterfragen auch die Gemälde Am Ende der Kindheit und Zerrissenheit. In ersterem weiß das Ich gar nichts mit dem geschminkten, geschmückten und adrett, aber in einem kalten Blau gekleideten Körper umzugehen, indes der Teddybär daneben, aber dennoch abgeschieden die emotionale Wärme in seinem Rotbraun suggeriert. Warum ist diese Trennung notwendig? In Zerrissenheit fragen die melancholisch blauen Augen in einem Gesicht einer älteren Frau nach dem eigenen Entwurf: Wer soll ich denn nun sein? Der leere runde Spiegel im Hintergrund weiß keine Antwort darauf. Wiederum ist es der Körper, die übergroßen roten Füße, die das Gehen und Stehen, das erwachsene Ich-Sein ungelenk verunmöglichen. Als Gegengewicht balanciert die große kindliche Schleife im Haar, die von einer bereits verlorenen Verspieltheit mit dem Schaukelpferd zeugt. Es sind nicht die verlorenen Paradiese der Kindheit, die nostalgisch beklagt werden. Vielmehr steht hier die Ganzheit des menschlichen Daseins mit all seinen künstlichen Trennungen in Frage, wie derjenigen zwischen Erwachsenenalter und Kindheit, denen Gennady Karabinskiy mit symbolischer Verspieltheit und Poesie der Farben begegnet.

Ein augenscheinliches und wesentliches Element seiner Malerei ist die Darstellung einer selbstbewussten jüdischen Identität, die die Physiognomien der Portraits prägt und so im Kontext zeitgenössischer Malerei eine eigene provokante Stimme bildet. Beispielsweise blickt uns Celia mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit an und hat ihre Hand bereits vom Handschuh entblößt, um sie uns zum Gruß zu reichen. Oder auch in Erhabenes Gefühl ist der Tallit, das rituelle Gebetstuch der Juden, ein in den Vordergrund fließender wesentlicher Bestandteil. Erinnert diese jüdische Symbolik gerade auch in der träumerischen Bildkomposition von Grünes Schweben an Marc Chagall, so geht ihr die eindeutige Verortung in der vergangenen Welt des osteuropäischen Schtetls ab. Gennady Karabinskiy schöpft zwar aus demselben jüdischen Symbolrepertoire, überträgt dies aber in eine selbständige Bildsprache. Als Beispiel mag dafür das Portrait Zwei Brüder (Juda und Levy) dienen. Der Titel deutet bereits an, dass das Jüdische zwar ikonographisch präsent ist, sich darüber hinaus aber eine ganz allgemeingültige conditio humana artikuliert. Halbseitig sich ein letztes Mal zurückwendend blicken die beiden Brüder Juda und Levy auf eine uneindeutige Vergangenheit, bevor sie sich abwenden werden und in die blauweiße schimmernde wie ebenso ungewisse Zukunft schreiten. Woher kommen sie, wohin gehen sie? Was wird sie erwarten? Fragend blicken sie uns und wir sie an und da ist doch in der Bildmitte in den Händen Levys diese süße reife rotgelbe Birne, die uns allen, ob jüdisch oder nicht, leuchtend eine kleine Hoffnung verspricht.

Die Frage nach der existenziellen Verortung des Menschen ist einerseits eine ethnisch kulturelle, wie es sich in Unendlicher Weg zeigt, und zutiefst in der Diaspora des Judentums verankert. In seiner Schubkarre schiebt der Jude seine Heimat vor sich her, ohne sie je irgendwo abladen oder ihr einen Ort zuschreiben zu können. Dabei wird er aber von den Klezmer-Musikern begleitet und man meint bereits die zwischen ausgelassener Fröhlichkeit und tiefer Trauer changierende Musik zu hören, zu der der kleine Mops lustvoll herumtollt. Ist der Lebensweg beschwerlich, so wird er verheißungsvoll begleitet von den süßen Früchten, mit denen die Heimat in der Schubkarre gespickt ist. Andererseits ist sie eine überkulturelle zutiefst menschliche Frage an sich, wie sie sich in den Elementarfarben von Die Welt in uns präsentiert: Unser Sein als ein Stillleben unserer Häuser umgeben von den Früchten des Lebens in einer großen blauen Schale. So befragt Gennady Karabinskiy in jedem seiner Bilder auf das Neue das Menschsein in seinen vielfältigen Schattierungen und kreiert einen vom Menschen ausgehenden Kosmos, einen philosophischen Humanismus der Farben.

Fabian Schmitz

Fabian Schmitz studierte deutsche Philologie, romanische Philologie und Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen, der Université de Neuchâtel und Universidade de Lisboa. Derzeit beendet er seine Dissertation zur Genese und Filiation von Autorschaftsdiskursen im Werk Marcel Prousts an der Universität Konstanz.