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2007

Die Einführungsrede für Eröffnung der Ausstellung in Hude

Jürgen Weichardt

Gennady Karabinskiy

Die Einführungsrede für Eröffnung der Ausstellung in Hude (23.09.2007)


Was uns Gennady Karabinskiy in dieser Ausstellung seiner Temperabilder vor Augen führt, ist ein kleines Welttheater. Allerdings von vorn herein verzichtet der Künstler auf große Paukenschläge - nicht Pathos, sondern die leisen Töne eines bescheidenen und im Grunde demütigen Menschen ergeben den Klang bei diesem Blick auf zahllose Situationen, die wir alle gesehen oder schon erlebt haben. Nur ein paar Anregungen zu den Inhalten seiner Bilder und die Art, wie er tiefe Gedanken in einer leichten und farbenfrohen Verpackung offeriert: Die Titel deuten im allgemeinen eine Haltung der Offenheit, der Erwartung an – „In Erwartung“ lautet dann auch die Unterschrift unter einem Bild und meint dabei weniger das Kommen eines Gastes als eine Erwartung gegenüber der Zukunft, dem Leben, hier vielleicht auf das Erwachsenwerden. Noch sind die Schuhe zu groß, aber sie sind schon da, und damit ist die Richtung vorgegeben.
Hier wie in anderen Bildern begnügt sich Gennady Karabinskiy nicht mit der schlichten Darstellung einer Handlung, einer Haltung oder einer Situation; er meint stets deren Überhöhung auf eine mehrdeutige, vielfältig auslegbare Ebene des Symbols: In einem Glas mit Wasser schwimmen drei Fische, und der Titel lautet: „Die ganze Welt“. Er macht stutzig, bis sich die Symbolik des einzelnen Bildes erschließt: Im Wassertropfen das ganze Meer sehen, im Fisch das Leben, in der Pflanze die gesamte Vegetation, so versammelt sich die ganze Welt in wenigen Details. Wenn im Bild eine Uhr – meist die traditionelle Wanduhr – auftaucht, ist der Begriff Zeit nicht fern und natürlich die Klage über das Verfliegen der Zeit. Dafür haben wir mehrere Beispiele.
Die klassischen Themen der Einsamkeit und des Nachhängens an Erinnerungen werden nicht ausgespart. Ein Maler, der so viel erzählt, wird manches auch von sich aussagen – und als russischer Emigrant in einem fremden Land – zunächst jedenfalls – sind diese Empfindungen oder Haltungen nichts Ungewöhnliches – im Gegenteil, wäre sie nicht da, müsste man sich andere Fragen stellen.
Die Bilder von Gennady Karabinskiy haben einen erzählerischen Grundzug; das ist unbestreitbar. Schon, wie er die Formen setzt, ob bei einem einzelnen Gesicht oder bei einer offensichtlichen Handlung, wird diese Haltung erkennbar: Eine Form folgt aus der anderen, die meisten sind miteinander verbunden. Das Auge wird dauernd weiter geleitet, bis es bei den Haarspitzen angekommen ist – und manchmal steht inmitten der Haare oder auf der Mütze ein Haus, was bedeutet, dass die Frage noch weiter gereicht wird.

Vielleicht ist solch ein Detail die Pointe der gemalten Geschichte, die Gennady Karabinskiy vor uns ausbreitet; aber wie eröffnet er diese Bildgeschichte ? Obwohl wir immer Alltägliches sehen, meistens Menschen, und wir also wegen der sonstigen Überflutung mit Bildern eher wegschauen mögen – bleiben wir sehr schnell an diesen Bildern hängen. Der Künstler bedient sich der gewohnten körperlichen Verhältnisse, der Proportionalität, die er auf den Kopf stellt oder durcheinander wirbelt, um mit diesem Überraschungseffekt die Augen zu fesseln. Dabei lassen sich diese Disproportionen – viel zu große Hände und Füße, dicht in den Vordergrund gezogener Kopf – oft vom Sinn des Bildes her erklären. Doch vor allem sind sie Bild- Eröffnungen, Motive, mit denen der Betrachter sofort vor Fragen gestellt wird.
Ähnliche Bedeutung hat ein anderes künstlerisches Mittel, das wir in diesem Bildern gelegentlich beobachten können: Der Bildrand schneidet die Figur oder auch nur das Gesicht eines Menschen oder Tieres an. Manchmal ist nur so viel von ihm zu sehen, dass überhaupt von der Anwesenheit eines Menschen gesprochen werden kann, dann aber doch ein aufmerksames, beobachtendes Auge, als hätte sich die Figur hinter dem Bildrand versteckt.

Das Eigentliche, das Spezifische der Bilder aber sind die Farben. Ich kenne niemanden in der Region und darüber hinaus, der so frei und intensiv mit Farben umgeht.
Die Intensität der Farben beruht auf einer lockeren Arbeit mit Kontrasten und Komplementärfarben. Das ist natürlich nichts Ungewöhnliches, doch Gennady Karabinsky geht dabei anders als die Expressionisten nicht von den Farben der Natur aus, die sie übersteigert haben, sondern er erarbeitet seine Kompositionen völlig unabhängig von der Natur. Vermutlich baut er die Komposition von einem seiner Stimmung entsprechenden Farbklang auf, der naturgegeben völlig subjektiv und emotional ist. Aber dann kommen ihm seine Erfahrungen, seine Ausbildung, seine Farbvorstellungen vor Augen und die Reise durch die Kontraste beginnt. Dabei gelingt ihm, diese Farbspannungen – Kontraste sind immerhin Gegensätze, Komplementärfarben gleichwertige Ergänzungen von Farben – im Gleichgewicht zu halten, so dass uns keines seiner Bilder unausgewogen erscheint, sondern vielschichtig und doch harmonisch. Dazu helfen die in kleine Flächen zerlegten Nuancen und Differenzierungen von Farben. Was seine Bilder fest macht, ist, dass auch diese Nuancen und Differenzierungen jeweils ihre Farbform haben.
Auffallend ist auch, dass die Farbflächen nicht unbedingt mit den Figuren, und Gegenständen identisch sind, dass also ein Kopf in zahlreiche Farben zerlegt werden kann. Hier ist der Raum für Nuance und Differenzierung, an denen die Bilder so reich sind und die dennoch nicht die innere Harmonie der Kompositionen stören.

        Es gibt schließlich noch etwas in den Bildern, was aufgespürt werden kann: Das ist der feine Humor, der in den Erzählungen, aber auch in den Farbkonstellationen zum Ausdruck kommt. Er basiert auf einer Art Weisheit, die in diesem Fall wohl ihre Wurzeln in der Religion, aber auch in der Lebenserfahrung hat: Aus Russland legal zu emigrieren, erfordert ein solches Maß an Geduld, das nur gesteigert werden kann, wenn man aus Russland illegal emigriert. Und dann aus St. Petersburg in Oldenburg anzukommen, in einem fremden Land – eines der Bilder hat den Titel „Fremde“ und meint nicht Personen, sondern Raum –, bedeutet anfangs eine nervige Strapaze, die nur mit Humor zu ertragen ist. Jetzt, viele Jahre nach der Ankunft, ist der Humor in die Bilder geflossen, wird in den grotesken Verzerrungen der Körper, im Umgang mit den Gegenständen, im Zugriff auf eigene Darstellungsweisen altbekannter Themen sichtbar. Nehmen Sie nur das klassische Thema des Stilllebens, das Gennady Karabinsiy relativ selten bearbeitet: Das Bild mit den Apfelhälften ist eine Ausnahme: Es greift die typischen Stillleben mit Obst auf, die wir von Franz Radziwill oder den Expressionisten kennen, aber der russische Künstler teilt das Obst und in einem Stück ist der Biss so deutlich herausgearbeitet, dass der Spaß, den der Künstler an diesem detail hatte, ablesbar wird.
Es wäre zu eng, wenn wir diese Bilder als eine sehnsuchtsvolle Aufzeichnung von Erinnerungen an die russische Dorfwelt nehmen wollten. Sie sind es nicht und seit Chagall solche Szenen gemalt hat, sind hundert Jahre vergangen. Sie können einen Künstler von Gennady Karabinskiy nicht mehr inspirieren. Dass es in einigen Arbeiten eine Spur Magie gibt, in anderen eine surrealistische Überzeichnung, um nur Andeutungen stilistischer Art zu machen, führt noch nicht zu den Schluss, der Künstler gehöre dieser oder jener Richtung an, die heute ohnehin kaum noch existent ist. Vielmehr bedient sich ein erfahrener Künstler unserer Zeit aus der Fundgrube der ganzen Kunstgeschichte, wenn er die Fundstücke – wie das Apfelstillleben – denn für seine eigenen Bilderfindungen braucht.
Vielleicht können wir in einer anderen Eigenschaft der Arbeiten noch etwas Russisches sehen – in der vorzüglichen Qualität des Farbauftrags, in der sauberen Verarbeitung, im Verzicht auf jedes Laisser-faire, wie wir es sonst oft sehen. Aber meine Erfahrung mit russischer Kunst sagt auch, dass dies die letzte Generation ist, die über diese Geschicklichkeit des Machens verfügt. Darum sollten wir diese Arbeiten besonders schätzen.

Jürgen Weichardt